Von Mächten unsichtbarer Wirklichkeiten
Der Afrikamissionar Pater Bernhard Udelhoven, aus Bitburg in der Eifel, hat in London Anthropologie studiert und im Luangwatal Sambias Forschungen betrieben. Mehrere Jahre hat er in der Pastoral an anderen Orten gearbeitet und acht Jahre lang war er bei FENZA (Faith and Encounter Zambia), einem Institut, das die Afrikamissionare in Lusaka betreiben. Sein Buch „Unseen Worlds“ beschreibt seine Erfahrungen.
Was hat Dich bewogen, dieses Buch zu schreiben?
Es hat mit FENZA zu tun. Die Suche nach einem pastoralen Ansatz für Probleme mit Geistern, Hexerei oder „Satanismus“ war unser erstes Projekt. Dazu wollten wir etwas schreiben. Wenn man nur darüber redet bleibt es vage. Wir fanden in der Kirche und besonders unter den Priestern dazu zwei Ansätze vor. Der erste Ansatz ist: Hexerei gibt es nicht, das ist nur eine Sache im Kopf, die funktioniert nicht. Man hat also das Thema weggeschoben, obwohl die Leute das Problem als real empfinden, Angst davor haben und nach Hilfe suchen. Der andere Ansatz ist der charismatische, pfingstkirchliche Ansatz, wo dann alles einfach so weggebetet wird.
Uns in FENZA schienen beide Ansätze fragwürdig. Wir wollten etwas anderes anbieten. Wir bemühten uns, die Ängste der Leute zu verstehen und ernst zu nehmen, wollten aber die Ängste nicht wegbeten, sondern Hilfe geben, dass man daran wächst und herauswächst.
Menschen fühlen also, dass sie von unsichtbaren Mächten angegriffen werden oder dass ihre Familien bedroht sind. Sie kommen um Hilfe zur Kirche. Wir wollten ihnen durch unseren Ansatz helfen, sich nicht nur als Opfer unsichtbarer Kräfte zu sehen, sondern zu einer positiven christlichen Lebensweise zu finden , die ebenfalls eine geistliche Kraft hat, größer als die der Hexerei.
Hexen, Schamanen, Zauberer, Voodoo-Priester, Wahrsager und ähnliche Begriffe werden oft mit afrikanischer Religiosität in Verbindung gebracht. Gibt es bei all dem Gemeinsamkeiten auch mit Europa?
Ich glaube es gibt Gemeinsamkeiten und zwar in einer Art alternativer Religion, bei der Fähigkeiten anerkannt werden, die man nicht richtig erklären kann, die aber da sind. Vielleicht könnte man sie einfach natürliche Fähigkeiten nennen. In Afrika sehen viele dahinter geistliche Faktoren. Gemeinsam ist, dass man anerkennt, dass die Menschen und auch unsere Fähigkeiten nicht alle gleich sind und dass Dinge geschehen, die man nicht einfach erklären kann. Ich sage dir zum Beispiel, dir wird noch was passieren und am kommenden Tag passiert dir tatsächlich etwas. Das kann man als Zufall ansehen. Aber da suchen dann Leute hier in Europa und ebenso in Afrika auch nach anderen Erklärungsmustern.
Satanismus scheint mehr ein Phänomen der Städte zu sein, die Hexerei eine Sache der traditionellen Dörfer. Wie relevant ist Satanismus für die Menschen in der heutigen Zeit? Ist der Animismus vielleicht im 21. Jahrhundert angekommen und antwortet auf die Nöte der Menschen unserer Zeit?
Die Stadtmenschen sehen die Hexerei als Teil des Dorfes und der alten Familienstrukturen. Viele Leute, die in der Stadt wohnen, wollen, nicht ins Dorf zurück. Das Dorf ist die Vergangenheit, davon wollen sie weg und in die Zukunft. Zukunft ist die moderne Stadt und Satanismus ist gleichsam die moderne Form der Hexerei. Manche sagen das ganz deutlich: „Die Hexerei ist im dritten Schuljahr, die Satanisten sind im zwölften.“ Die Dinge sind miteinander verwandt. Hexerei ist vielleicht mehr im Familiengefüge gewachsen, man verdächtigt eher Leute in der verwandten Umgebung. Der Satanismus ist weiter gefasst. Man verdächtigt moderne Organisationen, Untergrundbewegungen und Dinge, die anonym sind, aber unsichtbaren Einfluss auf die Familie nehmen. Der Satanismus in Sambia ist dann in der Tat ein neuer Baum mit alten Wurzeln, eingestimmt auf die modernen Lebensbedingungen.
Wie kam denn der Satanismus in diese vorherrschende Stellung in der Stadt? Es hätte ja auch die Hexerei selbst oder die Wahrsagerei sein können.
Zwei Gründe: Die Erfahrungen in der Stadt sind anders. Die Hexen werden gesehen als von niederen Beweggründen getrieben, eine alte Frau oder ein alter Mann, die anderen nichts gönnen. Das wäre das klassische Bild einer Hexe.
Der Satanist dagegen ist einmoderner Mensch, mit Kontakten, die keiner kennt, nach Dubai oder nach Amerika oder sonst wo hin verbunden. Er hat Kontakte zur ganzen Welt und opfert andere Leute, um selber reich zu werden.
Die Leute in der Stadt brauchten anderes Wort für ihre neue Erfahrung mit dem Okkulten.
Einen weiteren Grund sehe ich in den Pfingstkirchen. Die sind sehr bedeutend geworden und haben das christliche Bild stark verändert. In Heilungs- und Befreiungsgottesdiensten werden Geister, Hexen und Satanismus als Ursache für Krankheiten, Unfälle und Schicksalsschläge weggebetet und dann auch als Erklärungs-muster übernommen, weil die Konzepte den eigenen Erfahrungen und Gefühlen nahe stehen.
Hier in Europa erleben wir, wie Menschen ihre eigene Religion in eklektizistischer Weise aus diesem hier und jenem da zusammenbauen. Sieht man da Ähnliches wachsen in Afrika?
Leute gehören normalerweise einer bestimmten Kirche an. Aber wenn sie Hilfe brauchen, gehen sie sehr einfach auch zu einer anderen Kirche, einem anderen Heiler, einem anderen Propheten, je nach dem, wer ihnen helfen kann. Nicht jeden Tag, aber bei Problemen, meist opportunistisch.
Aber nicht so,dass man sagt, vom Christentum kann ich das brauchen und vielleicht aus der alten Religion jenes?
Ich glaube, dass die Leute wenig philosophieren über ihren Glauben. Die sambischen Christen glauben, was die Kirche ihnen sagt und sind auf einer gewissen Ebene davon überzeugt – bis irgendwann eine Lebenskrise kommt. Dann wird ganz schnell gewechselt und wenn die Krise vorbei ist, kommen sie wieder zurück. Den eigenen Glauben systematisch zusammenbasteln, das tun sie eher nicht. Sie haben also beispielsweise den katholischen Glauben und von Zeit zu Zeit auch mal einen anderen. Es laufen also zwei oder drei „Glauben“ parallel nebeneinander, ohne dass man daraus ein Gesamtbild macht.
Kommt das etwa auch daher, dass man in einer afrikanischen Familie nicht selten verschiedene Glaubensüberzeugungen bei den einzelnen Familienmitgliedern hat?
Bei vielen Familien sind meinetwegen die Eltern katholisch, von ihren acht oder zehn Kindern geht aber jedes in eine andere Kirche. Dafür gibt es eine große Toleranz. Die Leute sagen: „Es gibt nur einen Gott, egal wo man betet“. Man gehört zu einer Religion, aber wenige würden Religionsdogmen als absolut setzen.
Haben europäische Christen vielleicht eine andere Sicht auf Satanismus oder bilden wir uns nur ein, wir hätten größere Einsicht, Liberalität oder was auch immer?
In Europa will der Satanismus nicht auf christliche sondern explizit auf vorchristliche Vorstellungen aufbauen. In Sambia steht der Satanismus unter einem christlichen Deckmantel. Aber noch etwas kommt hinzu. In Deutschland redet man nicht viel über Religion oder seinen Glauben im öffentlichen Bereich. In Sambia gibt es praktisch keine säkulare Welt. Selbst im Bus sprechen dich Leute an: „Wo betest du?“ Man wird mit persönlichen Fragen konfrontiert, die einem hier in Europa selten gestellt werden. Darum redet man auch sehr einfach über das Böse, über Satanismus. Es gibt nicht so eine Abtrennung, wie in Europa.
Was können Europäer oder besser gesagt europäische Christen, von diesem Thema lernen? Was hift, sich sinnvoller mit manchen Dingen auseinander zu setzen?
Was ich immer interessant fand, war, dass man in einem sambischen Kontext das Böse stets erst mal als zwischenmenschlich sieht. Das klingt zwar schlimm, wenn man Menschen der Hexerei verdächtigt. Aber man versucht, damit umzugehen, in dem man sich mit anderen Menschen wieder versöhnt. Wenn ich in meiner Familie Böses erlebe, kommt die Frage auf: „Mit wem muss ich mich versöhnen“. Mich fasziniert die Art, es nicht passiv hinzunehmen. Ich soll als Christ zwar nicht einer Person Schuld an einem Unfall oder einem Schicksalsschlag geben. Aber ein Unfall kann zum Anlass werden, Beziehungen zu überprüfen und sich mit Menschen zu versöhnen. Im positiven Zugehen auf den Anderen kann man mit dem Bösen umgehen. Man hat es nicht im Griff, aber man kann damit umgehen.
Die Fragen stellte H. B. Schering