Pater Hans Joachim Lohre: Nach einem Jahr frei
Es war ein Tag großer Freude, als wir hörten, dass unser Mitbruder Hans Joachim (Ha-Jo) Lohre aus der Gefangenschaft entlassen worden war. Große Freude für die Mitbrüder in Mali und in Deutschland, ja überall in unserer Missionsgesellschaft. Große Freude für Ha-Jos Mutter und Familie, für seine Heimatgemeinde und auch für alle Freunde von Ha-Jo überall.
Am Christkönigsfest 2022 war unser Mitbruder Ha-Jo Lohre vor dem Haus der Gemeinschaft der Missionare von Afrika in Hamdallaye, Bamako, von einigen Männern entführt worden. Die Entführung von Ha-Jo war dann Teil der Nachrichten, die in den ersten Tagen um die Welt gingen. Doch als es keine weiteren Nachrichten, keine öffentliche Erklärung der Entführer gab, erlahmte das Interesse der Medien und verschwand. Nicht so bei den Mitbrüdern von Ha-Jo. Tägliche besondere Gebete hielten die Erinnerung an ihn wach. Wie wir von ihm in dem Zoom-Talk hörten, den er einige Zeit später für alle Missionare in Afrika hielt, war er sich dieser geistlichen Unterstützung bewusst. Er hatte davon im malischen Radio ORTM gehört, das jeden Sonntag um 10 Uhr das Gebet der Weißen Väter ausstrahlte. Da er Zugang zu einem kleinen Radio hatte, konnte er sich auch über Radio Vatikan über alle möglichen Nachrichten auf dem Laufenden halten.
Ha-Jo betont, dass er während der gesamten Zeit seiner Geiselhaft mit Respekt behandelt worden sei. Sein Leben war nie in Gefahr, auch weil er wusste, dass die Gruppe, die ihn gefangen genommen hatte, dafür bekannt war, ihre Geiseln nicht zu misshandeln. Ihm war auch klar, dass es sinnlos war, zu versuchen zu fliehen. Das hätte seine Situation nur noch verschlimmert. Er hatte keine Ahnung, wo er sich befand.
Offenbar war die Gruppe, die ihn als Geisel genommen hatte, gut in die Gemeinschaft der Menschen in der Umgebung integriert. Wochenlang zogen die Geiselnehmer mit ihm in der Sahelzone von Ort zu Ort und hielten sich mit ihm in der Nähe einiger Städte oder Dörfer auf, wo man Lebensmittel, Brennstoff und Vorräte kaufen konnte. Kontakt zur Außenwelt hatten jedoch nur einige Personen. Alles schien sich langsam, aber irgendwie unter Kontrolle zu bewegen, auf eine Art und Weise, die den örtlichen Gegebenheiten professionell entsprach. In der Sahelzone verstanden anfangs einige der Männer Bambara. Unter den jungen Gefangenen gab es einen, der ein wenig Französisch sprach. So war eine gewisse Konversation möglich. Später wurde er von einer anderen Gruppe weiter in die Wüste verschleppt, wobei das Lager alle zwei oder drei Wochen für etwa 50 bis 100 Kilometer gewechselt wurde. Diese Entführer sprachen hauptsächlich Arabisch und hatten kein Interesse an einer direkten Kommunikation. Sie gehörten zu einer Al-Qaida nahestehenden "Gruppe zur Unterstützung des Islam und der Muslime (Jama'a Nusrat ul-Islam wa al-Muslimin , JNIM).
Warum haben sie ihn als Geisel genommen? Seine Entführer sagten ihm, dass es nicht daran lag, dass er ein Priester oder Missionar war. Die Tatsache, dass ein katholischer Priester in einem fast vollständig muslimischen Land arbeiten wollte oder musste, war für sie jedoch nicht ganz verständlich. Ihre Aktion war eine Art Rache. Sie hatten ihn wegen seiner deutschen Staatsangehörigkeit entführt. Das eigentliche Ziel war die deutsche Regierung und der deutsche Staat, die ihrer Meinung nach in Mali einen Krieg gegen sie führten, indem sie Soldaten nach Gao schickten, um zusammen mit den internationalen Streitkräften gegen den lokalen Aufstand zu kämpfen.
Wie verbrachte Ha-Jo seine Zeit und blieb während dieses Jahres der Gefangenschaft ruhig und vernünftig? Er beschloss, der vor ihm liegenden unbekannten Zeit einen gewissen Sinn zu geben. Er war im Begriff gewesen, ein Sabbatjahr zu beginnen. Er erinnerte sich an einen Ausspruch von Victor Frankl, dass nicht diejenigen das Konzentrationslager überlebten, die die SS hassten, nicht diejenigen, die sich selbst aufgaben und sich in ihr Schicksal ergaben, sondern diejenigen überlebten, die in der Lage waren, ihrer Situation Sinn und Bedeutung zu geben. So beschloss er, dass dies für ihn die Zeit sein könnte: Eine Zeit, um seinen Glauben zu vertiefen.
Wichtig scheint auch in allen Phasen eine gewisse Routine in seinem Leben gewesen zu sein, ein Fahrplan für den Tag. Für Ha-Jo nahmen Gebet und Meditation eine Hauptrolle ein. Aus seinem Gedächtnis versuchte er, Gebete, Psalmen und Texte der Eucharistie abzurufen. Während des Ramadan hielt er selbst 30-tägige Exerzitien ab. Es erwies sich als unschätzbarer Schatz für ihn, einige Jahre lang im Leitungsteam des Noviziats in Bobo-Dioulasso mitgearbeitet zu haben. So konnte er die ignatianische Spiritualität in einem Leben des Glaubens und des Gebets in die Praxis umsetzen.
Nach einigen Monaten wurde Ha-Jo in ein Lager weiter in einer bergigen Region der Wüste verlegt, wo er auch andere Geiseln traf. Mit ihnen konnte er sich nicht nur unterhalten, sondern zur täglichen Routine gehörte dann auch das Kochen von Essen. Eines Tages erhielt er hier in der Wüste die Nachricht, dass er nun "Partir en Allemagne" würde. Das kam fast wie eine Überraschung. Offenbar wurden Geiseln sonst bis zu fünf Jahre lang festgehalten, bevor jemand freigelassen wurde. Bald musste er seine Zahnbürste und seine Decke nehmen und die Reise zurück in die Freiheit antreten.
Ha-Jo wurde am 26. November 2023 freigelassen. Das war ein Jahr und sechs Tage, nachdem er als Geisel genommen worden war. Und wieder war es das Fest "Christkönig".
Aber für Ha-Jo ist es eine begrenzte Freiheit. Seit mehr als 30 Jahren war er auf verschiedene Weise in Mali tätig, in der Seelsorge, als Studentenkaplan der Katholischen Universität von Bamako und für das Zentrum "Foi et Rencontre". Seit Februar 2021 wurde ihm die Aufgabe des Generalsekretärs der "Kommission für den interreligiösen Dialog" übertragen, einer Kommission der Bischofskonferenz von Mali.
Bei all dem stand er immer in engem Kontakt auch mit muslimischen Gruppen. Das ist die Art von Arbeit, die er liebt und zu der er gerne nach Mali zurückgekehrt wäre. Aber das ist im Moment nicht möglich.
Hans B. Schering
Juni 2022 VATIKAN - Papst Franziskus an die Weißen Väter: Mission geschieht aus Dankbarkeit
Rom (Fides) - Papst Franziskus empfing am Montag, den 13. Juni, die Teilnehmern des Generalkapitels der Afrikamissionare (auch bekannt als die "Weißen Väter") in Audienz
"Ich habe mich sehr gefreut", betonte der Papst zu Beginn seiner Ansprache, "zu hören, dass Sie diese Tage 'mit Dankbarkeit' und 'mit Hoffnung' gelebt haben. Das ist wunderschön. Dankbar zurückzublicken ist ein Zeichen für eine gute geistige Gesundheit; es ist die 'deuteronomische' Haltung, die Gott sein Volk gelehrt hat". Es sei die Dankbarkeit, so der Papst weiter, "die die Flamme der Hoffnung nährt“. Und "wer nicht weiß, wie man Gott für die Gaben dankt, die er auf dem eigenen Weg gesät hat - auch wenn dieser anstrengend und manchmal schmerzhaft ist -, der hat auch keine eine hoffnungsvolle Seele, die offen ist für Gottes Überraschungen und auf seine Vorsehung vertraut". Nur in der Dankbarkeit können "die Keime der Berufung, die der Herr mit seinem Geist und seinem Wort weckt", reifen. Eine Gemeinschaft, in der wir es verstehen, Gott und unseren Brüdern und Schwestern ‚Danke‘ zu sagen, und in der wir uns gegenseitig helfen, auf den auferstandenen Herrn zu hoffen, ist eine Gemeinschaft, die die Berufenen anzieht und trägt".
Vor den Hintergrund der Dankbarkeit und der Unentgeltlichkeit stellte Papst Franziskus auch seine nachfolgenden Überlegungen, die er den Weißen Vätern zum Thema des Generalkapitels und ihrer Treue zum "Charisma, das der Geist Kardinal Lavigerie anvertraut hat" (Charles Lavigerie, 1825-1892, war Gründer der Gesellschaft für Afrikamission, Anm. d. Red.) "Seid Apostel, nichts als Apostel", so lautete die Aufforderung, die Kardinal Lavigerie an die Mitglieder der von ihm gegründeten Missionsgesellschaft richtete. "Und der Apostel Jesu Christi", so der Papst in Anlehnung an die Worte des Kardinals und Ordensgründers, "ist nicht jemand, der missioniert. Die Verkündigung des Evangeliums hat nichts mit Proselytismus zu tun. Sollte sich jemand von euch dabei ertappen, wie er oder sie missioniert, dann hört bitte auf, kehrt um und fahrt erst dann fort. Verkündigung ist etwas anderes. Der Apostel ist kein Manager, er ist kein gelehrter Dozent, er ist kein IT-Experte, der Apostel ist ein Zeuge. Das gilt immer und überall in der Kirche, aber ganz besonders für diejenigen, die wie ihr oft dazu berufen sind, die Mission in einem Kontext der Erstevangelisierung oder der vorherrschenden islamischen Religion zu leben".
Der Papst ging in diesem Zusammenhang auch auf die Eigenschaften ein, die ein Zeugnis für Christus kennzeichnen: "Zeugnis", so der Bischof von Rom, "bedeutet im Wesentlichen zwei Dinge: Gebet und Brüderlichkeit. Ein offenes Herz für Gott und ein offenes Herz für unsere Brüder und Schwestern. In erster Linie in der Gegenwart Gottes zu leben, sich jeden Tag von ihm in Anbetung betrachten zu lassen". Jede authentische und fruchtbare Missionsarbeit sei nicht Aktivismus und ständige Mobilisierung, eine von der Hingabe an eine gerechte Sache beseelten Geschäftigkeit, sondern finde ihre einzige Quelle "in jenem 'Bleiben in Ihm', in Christus, das die Voraussetzung dafür ist, Apostel zu sein. Das ist das Paradoxon der Mission: Man kann nur gehen, wenn man bleibt. Wenn ihr nicht in der Lage seid, im Herrn zu bleiben, könnt ihr nicht gehen". Diese authentische missionarische Dynamik, so der Nachfolger Petri weiter, "war auch im Leben des heiligen Charles de Foucauld zu spüren“, der kürzlich heiliggesprochen wurde. "Gebet und Brüderlichkeit. Die Kirche", so der Papst weiter, "ist immer dazu aufgerufen, zu diesem wesentlichen Kern, zu dieser strahlenden Einfachheit zurückzukehren, natürlich nicht in einer einheitlichen Weise, sondern in der Vielfalt ihrer Charismen, ihrer Ämter, ihrer Institutionen; aber alles muss diesen ursprünglichen Kern durchscheinen lassen, der auf Pfingsten und auf die erste Gemeinschaft zurückgeht, die in der Apostelgeschichte beschrieben werden“. So, betont Papst Franziskus, „ kann die Gabe der Prophetie auch frei ausstrahlen, nicht nur als individuelle Realität, die einzelnen Personen anvertraut wird, sondern auch als Gemeinschaftserfahrung“, die auch in den kleinen Gemeinschaften der Missionare in Afrika erlebt werden könne, die dazu berufen sind, in Kontexten zu leben, "in denen oft neben der Armut auch Unsicherheit und Prekarität herrschen". „Der heilige Paul VI. verwendet dieses Wort in seinem Evangelii Nuntiandi: Die Evangelisierung ist der Auftrag der Kirche, die Evangelisierung ist die Freude der Kirche. Übrigens", fügte der Papst hinzu und sprach ein paar Worte frei und abweichend vom Redetext, "nehmt die Evangelii Nuntiandi, die heute noch aktuell ist, zur Hand und sie wird euch viele Einsichten für die Reflexion und die Mission geben. Ich danke dem Herrn mit euch für das große Geschenk der Evangelisierung". Zu Beginn seiner Ansprache an die Teilnehmer des Generalkapitels der Missionare Afrikas hatte Papst Franziskus sein "großes Bedauern" darüber bekundet, dass er seine geplante Reise in den Kongo und den Südsudan verschieben musste. "In der Tat", sagte der Papst, "ist es in meinem Alter nicht so einfach, auf Mission zu gehen! Aber eure Gebete und euer Beispiel machen mir Mut, und ich bin zuversichtlich, dass ich diese Völker, die ich in meinem Herzen trage, besuchen kann". „Am Sonntag, den 3. Juli", fügte der Bischof von Rom hinzu, "werde ich versuchen, die Messe mit der römisch-kongolesischen Gemeinde zu feiern, am Tag, an dem ich den Gottesdienst in Kinshasa feiern sollte. Wir werden Kinshasa nach St. Peter bringen und dort mit allen römischen Kongolesen, die sehr zahlreich sind, feiern“.
(GV) (Fides 14/6/2022)